· Aktuelles aus den Ortsvereinen

Armut auf den zweiten Blick

30 Jahre Hilfe für Rumänien

Norbert Halter organisiert seit 30 Jahren Hilfstransporte nach Rumänien

Lamspringe/Rumänien. Eine weiße Stretch-Limousine fährt durch das Ortszentrum, in der Siedlung an der Ecke parkt ein Geländewagen, dazwischen bahnt sich ein Pferdewagen den Weg. Das Dorf, nicht weit entfernt von der Stadt Zalau im Distrikt Salaj, zeichnet ein skurriles Bild aus Aufschwung und Armut in Rumänien.
Das 238.397 Quadratmeter große Land ist die Heimat von rund 20 Millionen Menschen und eins der ärmsten Länder Europas. Der Anteil der von Armut bedrohten Menschen liegt bei rund 30 Prozent.
Norbert Halter vom DRK-Ortsverein Lamspringe kennt Rumänien seit 30 Jahren. 1992 war der ehemalige Lehrer für sechs Monate Delegationsleiter des Deutschen Roten Kreuzes in Rumänien. Seitdem organisiert er regelmäßig Hilfstransporte.
In diesem Herbst ist er mit Petra Meyfarth, Heike und Egbert Wiegand vom DRK-Kreisverband Alfeld zum 34. Hilfstransport in das südosteuropäische Land aufgebrochen.

Rumänien ist ein Land mit vielen Gegensätzen, ein Land, in dem schon eine kurze Fahrt im Auto eine Art Zeitreise ist. In den vergangenen Jahren hat sich viel getan. Doch das soziale Gefälle ist immer noch groß. Die Armut entdeckt man oft erst auf den zweiten Blick. Während sich die Städte entwickeln und Investoren aus dem Ausland anziehen, herrscht auf dem Land oft bittere Armut. Seit 2007 ist das Land in der EU und strebt nun die Aufnahme in den Schengen-Raum, also den Wegfall der Grenzkontrollen an den Binnengrenzen, an.


Erste Station des Hilfstransportes ist die Stadt Oradea im Distrikt Bihor unweit der ungarischen Grenze. Hier werden Medikamente und medizinische Hilfsgeräte (Rollstühle, Rollatoren etc.) an das Rumänische Rote Kreuz (CRR) vor Ort übergeben. Direktor Marius Pacala berichtet von der Hilfe für ein Altenheim, in dem rund 400 alte Menschen versorgt werden, die nach einem Krankenhausaufenthalt nicht mehr allein leben können, aber keinerlei familiäre oder sonstige Unterstützung haben. „Viele sind völlig mittellos“, sagt Pacala. „Manche kommen nur im Pyjama bekleidet aus dem Krankenhaus.“

Hilfe für die Ukraine

Am nächsten Tag besucht die Delegation eine rumänische Schule und einen Sprachkurs für ukrainische Geflüchtete. Aufgrund der Nähe zur ukrainischen Grenze sind Tausende aus der Ukraine nach Oradea bekommen. „Im Winter erwarten wir wegen der kalten Temperaturen eine große Welle“, sagt Pacala. Mehr als eine Millionen Geflüchtete hat das Land in diesem Jahr bereits aufgenommen. Die Dunkelziffer ist groß.  Eigentlich könnte Rumänien Arbeitskräfte gut gebrauchen. Das Land hat in den vergangenen Jahren vor allem Auswanderung statt Einwanderung erlebt. Die Folge: Ein landesweiter Arbeitskräftemangel. 
„Aber viele Ukrainer haben Heimweh und wollen so schnell wie möglich wieder zurück, die anderen ziehe es weiter in den Westen“, sagt Pacala. Das sei eine große Herausforderung für das Rumänische Rote Kreuz. Dem 39-Jährigen ist die Unterstützung der Geflüchteten wichtig. „Wir leisten viel Hilfe für die Ukrainer, aber wir dürfen unsere Landsleute nicht vergessen.“
Das sieht auch Lorena Filip so. Die 39-Jährige ist Direktorin der CRR in Zalau im Distrikt Salaj, rund 120 Kilometer entfernt von Oradea, der zweiten Station des Hilfstransportes. In den vergangenen Jahren hat sie mit ihrem Team ein beeindruckendes Hilfenetzwerk ausgebaut. 21 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter versorgen 184 alte Menschen in deren zuhause. Finanziert wird die Arbeit vom Verkauf in den drei Rote-Kreuz-Läden. Darüber hinaus wurde für Geflüchtete ein Shop eingerichtet, in dem sie sich nach Vorlage ihrer Registrierung kostenlos Lebensmittel und Kleidung abholen können. Vieles davon ist nicht zuletzt auch dank der Spenden vom DRK aus Deutschland möglich. Denn das Prinzip der DRK-Hilfe sei kein Gießkannenprinzip, sagt Norbert Halter. „Wir wollen den Helfern nichts überstülpen und sagen nicht „So wird’s gemacht“, sondern fragen „Was macht ihr, und wie können wir euch dabei unterstützen?“
In Zalau werden die Hilfsmittel in einem großen Depot am Stadtrand gelagert. Unterstützung bekommt das CRR auch aus anderen Ländern. Die Miete für die Halle etwa kommt aus Südkorea. An dem Tag als die deutsche Delegation ihre Spenden auslädt, liefert ein LKW aus der Schweiz gerade eine Ladung Pflegebetten. Angesichts der Menge in dem Lager stellt sich die Frage, ob die Hilfe des DRK Lamspringe überhaupt noch zeitgemäß ist. Doch Lorena Filip hält sofort dagegen. „Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie viele Menschen eure Hilfe in Anspruch nehmen“, sagt sie. „Das ist Hilfe für ein Jahr.“ Besonders die Lebensmittel, die vor Ort mit den Spendengeldern gekauft werden, helfen den bedürftigen Menschen auf dem Land.

Armut auf dem Land

Davon können sich die Besucher noch am selben Tag überzeugen. Für die Verteilaktion hat sich das CRR für das Gebiet um Sasa entschieden. Die Fahrt dorthin dauert etwa zwei Stunden. Die Lebensmittel sind bereits in Tüten verpackt: Mehl, Zucker, Öl, Nudeln, Reis und Waschpulver. Der Herbst zeigt sich an diesem Tag von seiner schönsten Seite. Die Landschaft ist atemberaubend schön, doch die Wege zu den Hütten sind teilweise unbefestigt. Begleitet werden die deutschen und rumänischen Rotkreuzler von Gemeindevertretern mit einer Liste der bedürftigen Personen. Alle Empfänger müssen ihren Ausweis vorzeigen und den Erhalt der Lebensmittel quittieren.
Die Grundstücke empfangen die Besucher mit einer „bunten Unordnung“: Katzen, Hunde, Schweine und Federvieh. Im zugleich Wohn-, Koch- und Schlafraum lagern Erntefrüchte zum Trocknen gleich neben der Wäsche. Nicht überall gibt es fließend Wasser, viele haben Ziehbrunnen. Man hilft sich gegenseitig. Doch fast alle Häuser haben Strom. Neben altertümlichen Holzherden stehen vielerorts große Fernseher.
Während der Verteilung trifft das Team immer wieder auf menschliche Schicksale: Alleinerziehende abgearbeitete Frauen, die mit 40 so aussehen als hätten sie das Leben bereits hinter sich, alte Frauen mit geringer oder gar keiner Rente, die ihre Enkelkinder großziehen, weil die Eltern verstorben oder – in einem Fall – im Gefängnis sind, und auf Familien mit mehreren Kindern. Der Rückweg geht durch Roma-Siedlungen. Bunte Stoffe und Planen in den Unterkünften wirken beinah pittoresk, doch die Armut ist bitter.

Nach einem Empfang in der Präfektur (Präfekt: Dari Toma, Vize: Florian Florin) besucht die Gruppe am nächsten Tag ein Kinderheim in der Region Plopiș. Hier werden Kleiderspenden, Spiele und Lebensmittel übergeben. 20 Mädchen und Jungen im Alter zwischen sechs und 18 Jahren leben hier in Obhut der Kirche. Die Kinder stellen sich zur Begrüßung der Besucher artig auf. Norbert Halter wendet ein paar Worte in Englisch an sie. Lorena Filip übersetzt. Die Einrichtung ist sauber, die Zimmer spartanisch, drei Betten stehen in einer Reihe. Persönliche Gegenstände gibt es nicht. „Doch da habe ich in den vergangenen Jahren schon ganz andere Heime gesehen“, sagt Halter. „Das hier macht einen guten Eindruck.“

Alternative für russisches Gas?

Viele Ortsvereine im DRK-Kreisverband Alfeld haben Halter in diesem Jahr wieder unterstützt. Auch der Verein „Shalom für alle“ aus Kaiserslautern stellt ihm jedes Jahr eine große Summe zur Verfügung. Dafür hält er Vorträge bei Veranstaltungen. Dabei legt er großen Wert darauf, auch die guten Seiten des Landes zu zeigen. „Ich will nicht nur die Armut präsentieren, sondern auch das Schöne.“ Die Menschen sind unglaublich gastfreundlich. Das ist für die Gruppe aus Deutschland manchmal schon beschämend. Alte Frauen reichen Selbstgekochtes zum Dank, schenken selbstbrannten Pflaumenschnaps ein. Sowohl die Gemeinde als auch der Priester laden zum Mittagessen ein.
Rumänien hat das Potential, sich als EU-Alternative für russisches Gas zu positionieren. Lange wurden heimische Energiequellen vernachlässigt. Der Krieg in der Ukraine führt zu einer Wende. Mehr als drei Jahre hat das rumänische Parlament die Reform des Offshore-Gesetzes blockiert. Investoren aus dem Ausland sollten mit einer Sondersteuer belegt werden. Deshalb weigerten sie sich, Geld in Gasförderung aus dem Schwarzen Meer zu stecken. Doch da rumänischen Konzernen das Know-how in der Gasförderung aus dem Meer fehlt, wird Unterstützung aus dem Ausland benötigt. Mitte Mai beschloss das Parlament neue Gesetze. Im Juni floss erstmals Gas aus dem Boden unter dem Schwarzen Meer in das rumänische Pipelinenetz.
Am letzten Abend der einwöchigen Reise ist das Team bei den Eltern von Lorena Filip zum Abendessen eingeladen. Auch der Bürgermeister Ionel Ciunt aus Zalau, ist mit seiner Frau dabei. Eindrücke und Erfahrungen werden ausgetauscht. Der Blick richtet sich in die Zukunft, denn Norbert Halter plant schon den Transport im nächsten Jahr und einen Gegenbesuch in Deutschland. Doch es gibt auch weniger gute Nachrichten. Wie in viele andere Ortsvereinen auch, steht auch der DRK-Ortsverein Lamspringe vor einem Nachwuchsproblem. „Aber irgendwie wird die Rumänienhilfe auf jeden Fall weitergehen“, verspricht Halter. Auch Mario Eißing, Vorstand des DRK Kreisverbandes Alfeld e.V., der immer wieder beeindruckt von dem persönlichen Einsatz der DRK- Delegation ist, bekräftigt: „Wir werden das Lebenswerk von unserem Bundesverdienstkreuzträger Norbert Halter und das Engagement der Ortsvereine auch weiterhin nach Kräften unterstützen und damit die Menschen vor Ort nicht im Stich lassen.“


Finanzielle Unterstützung, Medikamente und medizinische Hilfsmittel sind jederzeit willkommen. Informationen erteilt Norbert Halter, Telefon (0 53 82) 90 76 65.

KV Alfeld/Petra Meyfarth